Im Foyer des FFT sind Stuhlreihen aufgestellt, es gibt keinen Anstieg, nur einen breiten Mittelgang. Die Bühne ist um zwei Stufen erhöht. In der Mitte ein breiter Tisch, darauf weiße Blöcke, die auch sonst noch rumstehen und irgendwann zu einer Mauer aufgerichtet werden. Musik ertönt. Hochgebockt auf Tisch und Block sitzt eine junge Frau, lässig in kurzen Jeans und knabbert Cekirdek – so nennt sie die Kerne, das klingt türkisch. Eine zweite Frau taucht auf und erklärt laut gegen die Musik an, dass die Frau da oben, Alba, ihre beste Freundin, ihre Schwester, ihre Seele sei, die sie liebe „bis zur Hölle und wieder zurück“. Sie überreicht der Freundin einen Brief, den diese nur zögernd annimmt. Er wurde schon vor drei Jahren geschrieben, ein Abschiedsbrief, dessen Annahme Alba damals verweigerte. Jetzt lesen sie ihn gemeinsam: Alba, die temperamentvollere, kraftvoll gegeben von Janine D’Aragona, die auch bei der Entwicklung von Text und Choreographie mitwirkte. Dagegen erscheint die Freundin Leyla zurückhaltender, doch ihrer Sache sicher, wie Arzu Coruh sie präsentiert.
Der Inhalt des Briefes führt weit zurück ins Jahr 2005 nach Berlin Tempelhof in die Oberlandstraße. Dort wurde am 17. Februar Hatun Sürücü auf offener Straße von ihrem jüngeren Bruder erschossen. Ein Ehrenmord. Damals waren die beiden Freundinnen sechzehn Jahre alt. Die übertriebene Reaktion ihrer türkischstämmigen Väter: Handy-Entzug, Hausarrest, „Gefangenschaft“.
Damit sind die Themen gesetzt: Die Selbstbestimmung der Frau, Lebensformen marginaler Gesellschaftsgruppen, Potential zur Veränderung, Femizide.
Leyla versucht anfangs, sich anzupassen, sie sagt: „ Ich habe gelernt, flacher zu atmen, damit die anderen ausreichend Luft bekommen“. Dann verliebt sie sich in Ben, einen deutschen Mann, und beschließt, dem Beispiel Hatuns zu folgen, sich einLeben auszusuchen, das ihr gehört, frei zu sein als die Frau, die sie ist. Alba warnt sie, argumentiert mit Hatuns Schicksal und Statistiken: „Jeden Tag versucht ein Mann, seine Frau umzubringen. Jeden dritten Tag gelingt es ihm.“ Leyla kontert, dass Alba sich seit Jahren hinter Hatuns Geschichte verstecke – und geht. Es gelingt dem Regisseur Sefa Küskü und seinem Team – nicht zuletzt durch die starke Besetzung der Alba – beide Lebensmodelle glaubhaft zu vermitteln.
Das c.t.201 freies Theater Köln setzt auf kommunikatives Theater. Getanzt und gespielt wird nicht nur auf der Bühne, vieles geschieht im Mittelgang, was für die vorderen Reihen nicht immer leicht zu verfolgen ist, aber dennoch Nähe schafft. Irgendwann bekommen wir im Publikum auch ein Beutelchen mit Cekirdek geschenkt. Das Ganze wird von türkischer Musik begleitet, so mag man Baris Mancos Lied Gülpembe – Wenn du lächelst, blühen die Rosen rosenrot – als Metapher für die Freundschaft der Frauen „bis zur Hölle und zurück“ hören.
Obwohl die Zeitsprünge, die sich durch das Lesen des Briefes ergeben, nicht immer einfach nachzuvollziehen sind, bejubelte das junge Publikum die interessante Aufführung.