Presse

Krabat | Meine Südstadt

8. Juni 2021

Ach! Ihr dunklen Mächte

 

“Betreten der Mühle auf eigene Gefahr!“ So heißt es auf dem Ausweis, den sich jeder Zuschauer der Vorstellung „Krabat“ umhängen muss, bevor er den Roten Saal der Comedia betritt. Da kann einem schon mulmig werden – wäre man denn auf sich allein gestellt. Doch der Ausweis ordnet uns einer von fünf Gruppen zu, die jeweils einen der Mühlknappen in der Schwarzen Mühle im Koselbruch repräsentieren.Gemeinsam skandiert man das launige Motto der eigenen Gruppe (Beispiel: „Kommst du heute nicht, kommst du morgen!“) und unterstützt „seinen“ Müllergesellen im Laufe des Abends auch sonst sehr tatkräftig. Tonda, Lobosch, Juro, Lyschko, Michal oder Andrusch werden auf der Bühne von Marius Bechen und Peter S. Herff gegeben, die für den fliegenden Rollenwechsel ganz einfach in verschiedene Jacken schlüpfen.

Dunkler Humor und schräge Charaktere

Im blau-grünen, nebligen Zwielicht der abgelegenen Mühle wirkt er deplatziert, der so unbedarft-fröhlich aussehende Betteljunge Krabat (Julia Hoffstaedter), der dem Ruf der Raben in seinem Traum hierher gefolgt ist. Als sich die Mühle als Schule für schwarze Magie entpuppt, in der es nicht mit rechten Dingen zugeht, ist Krabat froh, unter seinen Arbeitskollegen wahre Freunde zu finden. Zumal er die Nachfolge des Meisters antreten soll und andere schwerwiegende Entscheidungen zu fällen hat …
Wenn nach allen Regeln der Schwarzen Kunst die vierte Wand komplett aufgebrochen und das Publikum aktiv ins Bühnengeschehen einbezogen wird, ist das noch lange nicht die einzige Überraschung in dieser Dramatisierung des beliebten Romans von Otfried Preußler. Carina Eberle verzichtet auf ein Nacherzählen der Handlung und inszeniert eine genreübergreifende Performance mit viel Interaktionsangeboten und schwarzem Humor, in der die Eigenarten und Konflikte der Figuren im Vordergrund stehen.
Hoffstaedter bildet mit ihrer offenen Miene und dem Lockenkopf das Kontrastprogramm zum eher verschlossenen Krabat von David Kross in der Romanverfilmung von 2008. Vor allem ist ihre Rolle erfrischend anders als die der anderen, teilweise etwas tumben Müllerburschen. Die werden von Bechen und Herff mit viel Sprachwitz und einem Hang zu Selbstironie und Exzentrik verkörpert – was beim Publikum sichtlich gut ankommt.

Eine unheimlich zeitgemäße Legende

Dass Krabats Begegnung mit dem Mädchen Kantorka (ebenfalls Hoffstaedter) – via Wandprojektion einer Videoaufnahme – auf der virtuellen Ebene bleibt, darf zumindest all jene Zuschauer nicht stören, die im Skype-Zeitalter groß geworden sind. Der schaurige, einäugige Meister ist in der Koproduktion der freien Theatergruppe c.t. 201 und der Comedia wiederum als eine Art Big Brother angelegt, der jederzeit all unsere Gedanken lesen kann, aber physisch abwesend ist.
Unsichtbare Überwachungsmechanismen, die diffuse Ängste generieren: Auch darin sind die unterschwelligen Botschaften in „Krabat“ an Aktualität kaum zu überbieten. Die Inszenierung will uns das Fürchten also auf eher abstrakt-moderne Weise lehren. Doch mit den sparsam eingesetzten Requisiten in Form von wunderbar wandelbaren Kabelrollen und Gittern (Bühne: Dorothea Mines) wird die Bühnenadaption zu einem fantasievollen und mit allen Sinnen erfahrbaren Spektakel. Um die schweißtreibende Arbeit in der Mühle darzustellen, werden etwa simple Blecheimer und Gitter traktiert und mitreißende Sambarhythmen erzeugt.
Der Zuschauer darf sich nicht nur musikalisch einbringen, er ist auch intellektuell gefordert und muss sich etwa einen Zauberspruch merken oder einen Witz zu Ende erzählen. Ohne Unterstützung vom Sitznachbarn ist man da teilweise aufgeschmissen. Und genau darum geht es in jeder noch so kurzen Szene von „Krabat – Jede*r entscheidet selbst“: Über Freundschaft, Liebe, Solidarität und die Übernahme von Verantwortung. Aber auch um Ungehorsam, wo er nötig ist.
„Freundschaft, Liebe, Freiheit – wie kann man an etwas so Vergänglichem hängen?“

Otfried Preußler hat über die Bedeutung von Zusammenhalt und Liebe angesichts von schwarzer Magie geschrieben, lange bevor ein gewisser englischer Zauberlehrling sich mit den dunklen Mächten eines Voldemort konfrontiert sah. Da ist es schön, dass eine neue Generation von Fantasyfans den 46 Jahre alten Jugendbuchklassiker über das Medium Theater kennenlernt, auch wenn die frech-bunte Mitmach-Revue jungen Leuten die von Preußler verarbeitete sorbische Krabat-Legende wohl kaum näherzubringen vermag. Die atmosphärisch dichte Prosa des Autors hat – aus naheliegenden Gründen – keinen Platz in der fragmentarischen Bühnenfassung. Auch dadurch bleibt das Element des Düsteren leider weitestgehend auf der Strecke.
Doch Regie und Dramaturgie (Katja Winke, Manuel Moser) haben eine pfiffige Inszenierung erarbeitet, die trotz des multimedialen Konzepts und des fragmentarischen Erzählansatzes beseelt und leicht verständlich ist. In die bis ins letzte klangliche Detail (Musik: Öğünç Kardelen) liebevoll ausgeklügelte Produktion wurde offensichtlich viel Herzblut gesteckt. Alle Besucher werden dazu angeregt, über manch große Themen wie Macht, Verantwortung und Entscheidungsfreiheit nachzudenken, womit man ja nicht früh genug anfangen kann.

Am Ende sind alle „Müllerburschen“ auf den Zuschauerrängen gefragt, per Abstimmung über den Ausgang der Geschichte zu entscheiden. „Freiheit und Liebe“ oder „Zaubern bis in den Tod“? Die rege Beteiligung und die lauten Zwischenrufe im Roten Saal sind eindrücklicher Beweis dafür, dass Demokratiebedürfnis hier quicklebendig ist. Wer keine Angst davor hat, der „Schwarzen Mühle“ womöglich nicht entrinnen zu können, hat im September erneut Gelegenheit, sich einzumischen – wenn Krabat und seine Kameraden wieder auf die Bühne der Comedia zurückkehren …
Jaleh Ojan in Meine Südstadt